Es ist in der Politik eher die Regel als die Ausnahme, dass am Ende einer Ära oder beim unerwarteten Abgang eines Amtsinhabers oder einer Amtsinhaberin die jeweilige Partei in die Bredouille gerät. Hier könnte die Politik von der Wirtschaft lernen. Dort gehört der systematische Aufbau von Nachfolgern für das eigene Amt inzwischen oft zum Pflichtprogramm für Konzernlenkerinnen und -lenker. Häufig sind die sogenannten succession plans sogar fester Bestandteil von Zielvereinbarungen in den Verträgen.
Für die Unternehmen macht die strukturierte Nachfolgesuche Sinn. Sie sichern so Erfahrungswissen, entwickeln Talente in den eigenen Reihen, und sie erhöhen die Bindung der Mitarbeiterschaft ans Unternehmen. Vor allem aber können sie so offene Stellen schneller und passend besetzen. Das ist heute umso wichtiger, weil laut DIHK-Fachkräftereport fast jedes zweite (47 Prozent) der 23.000 antwortenden Unternehmen von Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung berichtet. Mehr noch: Fachkräftemangel wird von den Unternehmen in der aktuellen DIHK-Konjunkturumfrage mit 59 Prozent als größtes Geschäftsrisiko angesehen – und das trotz der massiv gestiegenen Energiepreise.
Deshalb umfassen die succession plans weit mehr als nur einen oder sogar mehrere Namen, sondern sie beschreiben auch einen strukturierten und nachhaltigen Prozess. Er beginnt damit, die Stellen für die Nachfolgesuche genau zu identifizieren. Dann müssen die Anforderungen an die Stelle sowie an die Kandidatinnen und Kandidaten erarbeitet werden: Welches Skillset braucht es dort heute, was in einem, was in drei Jahren? Anschließend geht es darum, einen Talent-Pool aufzubauen und die möglichen Kandidatinnen und Kandidaten strukturiert vorzubereiten. Am Ende stehen die Einarbeitung und die Übergabe. Bei guten Prozessen gehört dazu eine starke Feedback- und Fehler-Kultur, die auch dafür sorgen soll, dass sich nach der Amtsübernahme keine Fehler wiederholen.
Auch für Politikerinnen und Politiker macht ein solcher Prozess Sinn. Und zwar nicht nur, um Situationen wie derzeit in der CDU zu vermeiden. Sondern wie in Unternehmen würde es die Talententwicklung und die Identifikation fördern und damit Parteien und Politik attraktiver machen als Ort für gesellschaftliches Engagement. Vor allem aber ändern sich die Anforderungen an Politik. Sie muss vor allem agiler werden – und mit ihr die Verantwortlichen. Herausforderungen wie die Digitalisierung oder der Kampf gegen die Klimakrise bringen schnelle und mitunter radikale politische Anpassungen mit sich und erfordern gleichzeitig ein vorausschauendes Denken in langen Linien. Für die immensen gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklungen braucht es die Kompetenz, über politische Lager und Silos hinwegzudenken. Und es reicht auch nicht mehr, Fachwissen und dessen Aneignung zu delegieren. Für Digitalisierung und Klimaschutz etwa sind vertiefte naturwissenschaftliche Kenntnisse notwendig, die sich nicht allein aus Aktenvermerken und Vor-Ort-Besuchen erarbeiten lassen. Der scheidende Bosch-Chef Volkmar Denner zum Beispiel hat sich von seinen Fachleuten noch in Sachen KI ausbilden lassen und programmiert selbst.