Gesucht: Thronfolger (m/w/d) | Brunswick

Gesucht: Thronfolger (m/w/d)

Der systematische Aufbau von Nachfolgern für den eigenen Job gehört für Konzernlenker inzwischen zum Pflichtprogramm. Das sollte auch in der Politik Schule machen.

Es war ein gutes Zeichen: Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihren wahrscheinlichen Nachfolger Olaf Scholz beim G20-Gipfel in Rom auch zu direkten Gesprächen mit anderen Staatschefs mitgenommen. Das zeugt von staatsfraulicher Größe und Weitsicht. Denn die vertrauensbildende Maßnahme signalisiert nicht nur Deutschlands Partnern Kontinuität. Sondern sie stärkt Scholz auch dabei, außenpolitisch „ready for the job“ zu sein.

Was Angela Merkel hier als Bundeskanzlerin richtig macht, hat sie als CDU-Parteivorsitzende versäumt: Sich um eine erfolgreiche Nachfolge zu kümmern. Zugegeben: Für die Personalsituation in der CDU am Ende ihrer Vorsitzenden-Ära 2018 trägt sie nicht die alleinige Verantwortung. In den insgesamt 18 Jahren hat sich der bzw. die eine oder andere CDU-Führungspersönlichkeit auch selbst aus dem „Game of Thrones“ verabschiedet. Fakt ist aber: Die CDU wählt in den kommenden Wochen ihren dritten Vorsitzenden bzw. Vorsitzende in drei Jahren. Und Fakt ist auch: Die Bürgerinnen und Bürger trauten Umfragen zufolge keinem von beiden Merkel-Nachfolgern die Kanzlerschaft zu.

 

Hier könnte die Politik von der Wirtschaft lernen.

Es ist in der Politik eher die Regel als die Ausnahme, dass am Ende einer Ära oder beim unerwarteten Abgang eines Amtsinhabers oder einer Amtsinhaberin die jeweilige Partei in die Bredouille gerät. Hier könnte die Politik von der Wirtschaft lernen. Dort gehört der systematische Aufbau von Nachfolgern für das eigene Amt inzwischen oft zum Pflichtprogramm für Konzernlenkerinnen und -lenker. Häufig sind die sogenannten succession plans sogar fester Bestandteil von Zielvereinbarungen in den Verträgen.

Für die Unternehmen macht die strukturierte Nachfolgesuche Sinn. Sie sichern so Erfahrungswissen, entwickeln Talente in den eigenen Reihen, und sie erhöhen die Bindung der Mitarbeiterschaft ans Unternehmen. Vor allem aber können sie so offene Stellen schneller und passend besetzen. Das ist heute umso wichtiger, weil laut DIHK-Fachkräftereport fast jedes zweite (47 Prozent) der 23.000 antwortenden Unternehmen von Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung berichtet. Mehr noch: Fachkräftemangel wird von den Unternehmen in der aktuellen DIHK-Konjunkturumfrage mit 59 Prozent als größtes Geschäftsrisiko angesehen – und das trotz der massiv gestiegenen Energiepreise.

Deshalb umfassen die succession plans weit mehr als nur einen oder sogar mehrere Namen, sondern sie beschreiben auch einen strukturierten und nachhaltigen Prozess. Er beginnt damit, die Stellen für die Nachfolgesuche genau zu identifizieren. Dann müssen die Anforderungen an die Stelle sowie an die Kandidatinnen und Kandidaten erarbeitet werden: Welches Skillset braucht es dort heute, was in einem, was in drei Jahren? Anschließend geht es darum, einen Talent-Pool aufzubauen und die möglichen Kandidatinnen und Kandidaten strukturiert vorzubereiten. Am Ende stehen die Einarbeitung und die Übergabe. Bei guten Prozessen gehört dazu eine starke Feedback- und Fehler-Kultur, die auch dafür sorgen soll, dass sich nach der Amtsübernahme keine Fehler wiederholen.   

Auch für Politikerinnen und Politiker macht ein solcher Prozess Sinn. Und zwar nicht nur, um Situationen wie derzeit in der CDU zu vermeiden. Sondern wie in Unternehmen würde es die Talententwicklung und die Identifikation fördern und damit Parteien und Politik attraktiver machen als Ort für gesellschaftliches Engagement. Vor allem aber ändern sich die Anforderungen an Politik. Sie muss vor allem agiler werden – und mit ihr die Verantwortlichen. Herausforderungen wie die Digitalisierung oder der Kampf gegen die Klimakrise bringen schnelle und mitunter radikale politische Anpassungen mit sich und erfordern gleichzeitig ein vorausschauendes Denken in langen Linien. Für die immensen gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklungen braucht es die Kompetenz, über politische Lager und Silos hinwegzudenken. Und es reicht auch nicht mehr, Fachwissen und dessen Aneignung zu delegieren. Für Digitalisierung und Klimaschutz etwa sind vertiefte naturwissenschaftliche Kenntnisse notwendig, die sich nicht allein aus Aktenvermerken und Vor-Ort-Besuchen erarbeiten lassen. Der scheidende Bosch-Chef Volkmar Denner zum Beispiel hat sich von seinen Fachleuten noch in Sachen KI ausbilden lassen und programmiert selbst.

Aber die Träger von Amt und Würden sollten es als das sehen, was es ist: ein sehr kluger Schachzug.

Gleichzeitig ist die Politik auch dadurch gefordert, dass die alten Modelle der Machtübergaben herausgefordert werden. Die neuen Kommunikationsformen wie die Sozialen Medien stärken nicht nur den Wunsch nach Partizipation und Auswahl, sondern ermöglichen auch seine Erfüllung. Es liegt also im Interesse von Amtsinhabern, nicht nur eine einzige starke Persönlichkeit für die Nachfolge aufzubauen, sondern am besten eine ganze Mannschaft; und am allerbesten sehr divers zusammengesetzt.      

Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, den es sowohl in der Politik wie in der Wirtschaft gibt, ist es ein Stück weit mutig, nicht nur sich selbst, sondern auch die eigenen Nachfolger auszurufen und aufzubauen. Aber die Träger von Amt und Würden sollten es als das sehen, was es ist: ein sehr kluger Schachzug. (Und ein starkes Team kann ja auch für die eigene Karriere förderlich sein.) Der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizère hat den treffenden Satz gesagt: „Jeder, der Minister wird, muss so arbeiten, als wäre seine Amtszeit unbegrenzt – und er muss die innere Einstellung haben zu wissen, dass es ein Amt auf Zeit ist.“ Das gilt nicht nur für Minister. Wer will, dass am Ende der Zeit nicht nur verbrannte Asche weitergegeben wird, sondern das Feuer, muss sich von Beginn an um seine Nachfolge kümmern.