Health at Risk? | Brunswick

Health at Risk?

Geopolitik und Gesundheitsunternehmen

Seit Ende des Kalten Krieges war unsere Gesundheitsversorgung nie einem höheren geopolitischen Risiko ausgesetzt als heute. Gesundheitsunternehmen haben schwierige Entscheidungen vor sich, die sie gut kommunizieren müssen.

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Health at Risk?

„Wenn nichts mehr sicher ist, ist dann alles wieder möglich? Zeit für neues Denken.“ So positioniert sich eine große deutsche Wirtschaftszeitung. Auch in der Gesundheitsversorgung ist neues Denken gefragt. Denn seit Ende des Kalten Krieges war unsere Gesundheitsversorgung nie einem höheren geopolitischen Risiko ausgesetzt als heute. Mit heftigen Implikationen für Gesundheitsunternehmen. Es muss eine bewusste geschäftliche Entscheidung her: bleiben wir in der Abhängigkeit, vertrauen wir auf geschlossene Verträge, und stellen uns den möglichen Vorwürfen aus Politik und Öffentlichkeit? Oder lösen wir uns Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit und diversifizieren das Risiko, trotz hoher Investitionskosten?

 

Globalisierung als Risiko für Gesundheitsunternehmen

Zentrale Erkenntnisse:

Entscheidendes Risiko ist die Abhängigkeit von China. In den letzten zwei Jahrzehnten haben unzählige Pharma- und MedTech-Unternehmen China als wichtigen Partner entdeckt. China ist „unterm Radar“ zur Apotheke der Welt geworden: Das Land exportiert Wirkstoffe und pharmakologische Vorprodukte im Wert von 32,3 Mrd. US-Dollar (2020). Zum Vergleich: Der Umsatz auf dem deutschen Pharma-Gesamtmarkt betrug im gleichen Jahr rund 53,5 Mrd. US-Dollar.

Im Sinne einer globalen Arbeitsteilung zur Kostenersparnis war der Bezug von Wirkstoffen und Vorprodukten aus China eine ökonomisch sinnvolle Entscheidung, schien doch der Handelsfrieden weitgehend gesichert. Zugleich wurden die Erwartungen aller Stakeholder erfüllt werden: die politisch geforderten „vernünftigen Arzneimittelpreise“, vor allem bei Generika, waren recht unproblematisch erreichbar, die Versorungssicherheit, die vor allem für Ärzt:innen und Patient:innen relevant ist, schien gewährleistet. Investoren begrüßten derartige Schritte, versprach man sich doch davon sinkende Produktionskosten.

Gleichzeitig stieg damit die Abhängigkeit Deutschlands und der USA von der Volksrepublik. So werden dort vor allem Antibiotika hergestellt, die zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten wichtig sind. Auch andere wichtige pharmakologische Stoffe bezieht Deutschland maßgeblich von China, darunter Heparin und Kortison sowie Barbitursäure, die zur Herstellung von Barbituraten (Epileptika, Narkotika) notwendig ist. Dies gilt in etwas geringerem Ausmaß auch für Medizintechnik-Produkte.

China ist jedoch nicht nur einer der weltweit größten und damit wichtigsten Pharmaproduzenten. Das Land ist zugleich der zweitgrößte Pharmamarkt weltweit. Pharmazeutische Unternehmen führen daher in China auch umfassende klinische Studien durch und betreiben Forschungskooperationen, auch wenn sich der Markt bisweilen abschottet, zum Beispiel bei den mRNA-Impfstoffen. Die Volksrepublik China als Wissenschafts- und Innovationsstandort wird immer wichtiger. Gezielte strategische Investitionen in die landeseigene Biotech-Branche lassen diese kräftig wachsen. Und damit wächst auch Chinas Bedeutung für die Gesundheitsversorgung weltweit. Daher können auch Forscher:innen der Zusammenarbeit Positives abgewinnen, zumal in anderen Ländern mit weniger Einschränkgungen geforscht werden kann.

 

Auswirkungen für die Unternehmen – und die Bevölkerung:

In Zeiten leidlicher Stabilität und internationaler Freihandelsabkommen ist das weitgehend unproblematisch. Aber: was, „wenn’s knallt“? Medikamente und Medizinprodukte werden knapp. Die Folge: Unterversorgung und vermeidbare Todesfälle. Wir sehen am Krieg in der Ukraine, dass dies durchaus passieren kann. Und wir sehen an den Plänen Chinas um Taiwan, dass sich hier möglicherweise ein regionaler Konflikt mit globalen Auswirkungen zuspitzt. China sendet darüber hinaus gemischte Signale in seinen Russland-Beziehungen. Gewinnt der Konflikt um Taiwan an Dynamik und verstärkt China den Schulterschluss mit Russland, steht „der Westen“ vor einem gewaltigen Problem. Wollen die westlichen Industriestaaten glaubwürdig bleiben, müssen im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan – auf eine westlich geprägte Demokratie - Sanktionen verhängt werden. Die Arzneimittelproduktion wird zum Spielball der Interessen. Denn scharfe Sanktionen schaden vor allem dem Westen selbst.

Einfuhrverbote nehmen den Industrienationen einen wichtigen Absatzmarkt. Ausfuhrverbote, Hafenblockaden und andere Sanktionen gefährden die Gesundheitsversorgung: Produktionsstätten erhalten keine Rohstoffe mehr, die Produktion kommt zum Erliegen. Und das, was an Pharmaproduktion noch möglich ist, kann das Land auf legalem Wege nicht verlassen. Die Folge: Unterversorgung, Todesfälle.

Innovationen verlangsamen sich, denn Forschungskooperationen werden unterbunden. Klinische Studien können möglicherweise mangels Medikamenten nicht fortgesetzt werden. Unternehmen müssen sich überlegen, welche Position sie einnehmen wollen oder müssen, um ihr eigenes Geschäft und ihre Reputation zu erhalten.

China ist jedoch nur eines von mehreren geopolitischen Risiken. Der russische Gaslieferstopp, eine Reaktion auf die Sanktionen des Westens gegen Russland, zeigt weitreichende Folgen. Die Gasmangellage verteuert die Produktion auch von Arzneimitteln, wo sie noch in Europa gefertigt werden. Muss die Produktion mangels Energie eingestellt werden, drohen Lieferausfälle. Steigende Lohnkosten drehen die Preisspirale weiter nach oben. Preissteigerungen können aber nicht einfach weitergegeben werden, da die Kostenträger in Deutschland nur die vereinbarten Preise zahlen und überdies einen Sparkurs fahren müssen. Dadurch verschlechtern sich zugleich die Standortbedingungen für die Arzneimittelproduktion in der EU. Die Produktion droht doch wieder in Billiglohnländer wie China oder Indien abzuwandern. Mit den bekannten Risiken.

 

Nächste Schritte:

Neues Denken heißt also vor allem: das Unmögliche für möglich halten. Und prüfen: wie robust sind Lieferketten und Absatzmärkte? Welche potenziellen geopolitischen Risiken bedrohen das Geschäft – und die Versorgung? Was sind die Alternativen? Wer bezahlt dafür? Und wie kann und muss man als Unternehmen mit wem darüber sprechen? Wie muss die Entscheidung intern und extern kommuniziert werden? Denn was wir derzeit bei der Energie sehen, gilt ebenso für Arzneimittel und Gesundheitsversorgung: Versorgungssicherheit kostet. Aber alternative Optionen sind notwendig. Also stehen Unternehmen wie Politik vor einer Herausforderung: sie müssen möglicherweise unpopuläre Dinge kommunizieren. Sie müssen einen Spagat meistern – nämlich die Sicherung der Versorgung im eigenen Land, während gleichzeitig die Partnerschaften im Ausland erhalten bleiben müssen. Doch haben wir eingangs gelernt: wenn nichts mehr sicher ist, wird vieles möglich.

 

Wie können wir beraten/helfen?

Aus Unternehmenssicht muss eine bewusste geschäftliche Entscheidung her: bleiben wir in der Abhängigkeit, vertrauen wir auf geschlossene Verträge, und stellen uns den möglichen Vorwürfen aus Politik und Öffentlichkeit? Oder lösen wir uns Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit und diversifizieren das Risiko, trotz hoher Investitionskosten? Egal, wohin die Reise geht: jede Entscheidung muss gegenüber wichtigen Anspruchsgruppen – Öffentlichkeit, Politik, Investoren, Shareholder, und nicht zuletzt auch gegenüber Forschenden und Patient:innen erklärt und nachvollziehbar gemacht werden. Das funktioniert dann gut, wenn die Entscheidungsträger im Unternehmen ihr Handeln gut begründen und dafür auf eine transparente Datenbasis zurückgreifen können. Der interne Entscheidungsprozess ist komplex. Die Vermittlung des Ergebnisses an die Anspruchsgruppen ist es mit Hilfe guter Kommunikation nicht zwingend.

 

Um das Gespräch fortzuführen:

Nina Jungcurt

E-Mail: [email protected]

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