Die Merkel-Jahre sind vorbei und was als Nächstes kommt ist unklar, sagt Carl Hohenthal.
Während Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Abschiedsbesuche macht und in der Welt noch einmal als führende Politikerin Europas gefeiert wird, versucht Deutschland, sich über seine Zukunft klar zu werden. Nach der katastrophalen Wahlniederlage der Konservativen ist von der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) in nächster Zeit wenig zu erwarten. Die CDU hat die Bundestagswahl nicht nur verloren, weil sie mit einem falschen Kandidaten ins Rennen gegangen war, sondern vor allem auch, weil sie kein Programm hatte. Die Partei weiß selbst nicht mehr, was konservativ im 21. Jahrhundert bedeuten sollte. Sie muss sich neu finden und das dürfte ein bis zwei Jahre dauern.
Der nächste Bundeskanzler, der Sozialdemokrat Olaf Scholz, hat damit von der CDU als Oppositionspartei zunächst wenig Widerstand zu erwarten. Trotzdem ist seine Situation schwierig. Seine Partei, die SPD, liebte ihn vor seinem Wahlsieg nicht, weil er ihr zu rechts war. Das Sagen bei der SPD haben die Linken, die sich während des Wahlkampfs zurückgehalten haben und nun ihre Forderungen stellen werden. Es muss sich erweisen, ob eine alte Behauptung richtig ist, dass niemand gegen den Bundeskanzler regieren könne. Zweifel daran sind angebracht, zumal Scholz mit den Grünen und den Liberalen zwei Koalitionspartner haben wird, die eigene politische Vorstellungen durchsetzen wollen und stärker sind als je zuvor. Denn die ehemaligen sogenannten „Volksparteien“ – SPD und CDU – können kaum mehr als solche genannt werden. Sie sind so schwach geworden, dass der Schwanz – nämlich die Koalitionspartner – jetzt mit dem Hund – der SPD – wackeln kann.
Im Vorfeld der jetzt stattfindenden Koalitionsgespräche zur Bildung einer neuen deutschen Regierung haben sich SPD, Grüne und Liberale darauf verständigt, dass sie keine Steuern erhöhen und keine neuen Schulden machen wollen. Sie wollen aber auch nicht das Rentensystem reformieren; sie wollen viel Klimaschutz und überhaupt umfassend in die Infrastruktur Deutschlands investieren. Nun herrscht großes Rätselraten, wie das zusammenpassen kann: Viel Geld ausgeben, ohne Schulden zu machen und ohne Steuern zu erhöhen.
Deutschland wird also eine Regierung haben, die vor allem damit beschäftigt sein wird, ihre Zusammenarbeit zu organisieren. Und die CDU als Opposition liegt auf der Couch ihrer politischen Psychiater.